Zweiter sein ist manchmal doof

Eine gute Woche ist es nun her, seitdem ich das letzte Mal geschrieben habe. Inzwischen kehrt der Alltag in Minischritten zurück. Unser Großer, um den ich mir mit seinem neuen Lebensabschnitt als Schulkind ziemlich viele Gedanken gemacht habe, scheint sich recht wohl zu fühlen. Täglich geht er mit seiner „Gang“ den Schulweg, plappert unentwegt und fühlt sich ziemlich stolz und überlegen. Er findet sich zurecht, macht seine Hausaufgaben im vorgegebenen Zeitraum und rennt so schnell ins Schulgebäude, dass ich mich kaum noch verabschieden kann. Tatsächlich tun wir Eltern uns fast schwerer mit der neuen Selbstständigkeit, die unsere Kinder gerade annehmen, als die Kinder selbst.

Wen ich dabei ein wenig aus den Augen gelassen habe, ist unser Zweiter. Er ist noch ein Kindergartenkind und da er die Einrichtung schon kennt, habe ich gar nicht wirklich bedacht, dass die aktuelle Situation auch für ihn eine große Umstellung bedeuten könnte. Aber dabei habe ich vergessen, dass er ohne großen Bruder zurück geblieben ist, viele seiner Freunde, die er durch den Großen gewonnen hat, ebenfalls Schulkinder sind, und zahlreiche Leute nun das Schulkind in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stellen und nicht ihn. Das kratzt natürlich am Ego und hat für gehörig Verunsicherung und Frust gesorgt. Er will nicht in den Kindergarten, heult und nörgelt, sobald er seiner Auffassung nach zu wenig Aufmerksamkeit bekommt und ist generell viel schneller moralisch umzupusten als zuvor.

Ich muss zugeben, manchmal ist das tierisch anstrengend. Das Geheule und Geschrei schon morgens um 6.30 Uhr in einer Frequenz, die das Hirn zum Erschüttern bringt, ist echt kein angenehmer Start in den Tag. Und nicht immer habe ich das Nervenkostüm, einen Schritt zurück zu machen, mir Gedanken zu machen was seine Prioritäten sein könnten und was gerade auf seiner Seele brennt. Nicht am Montag morgen, im Stress und ohne Frühstück. Meiner Meinung nach muss man auch lernen, dass mal der Andere im Mittelpunkt steht. Weil man auch irgendwann dran ist, wenn man nur die Geduld aufbringt.

Aber da ich auch eine Zweite bin, kann ich schon gut verstehen, dass manchmal sehr frustrierend ist, wenn das große Geschwisterkind etwas Neues und Besonderes macht, was gleichermaßen bei einem selbst nicht mehr ganz so aufregend ist. Deshalb kann ich nachvollziehen, dass er hier Verständnis, Liebe und Trost braucht. Und wenn ich mal ganz ehrlich bin: dass ich genervt bin, liegt weniger an ihm, als vielmehr an meinem Stresslevel, mangelndem Schlaf oder fehlendem Frühstück. Und das ist mein Problem, nicht seins.

Ja, auch für die Geschwister ist es eine große Umstellung, wenn die große Schwester oder der große Bruder einen neuen Lebensabschnitt beschreitet. Insbesondere dann, wenn sie (noch) nicht mitgehen können.

Kommentare


Katja
Katja am 19.08.2023 um 12:38 Uhr Antworten

Bei uns ist es auch so. Ich kann das nur bestätigen. Du hast es sehr gut auf den Punkt gebracht 🫶

Melanie
Melanie am 19.08.2023 um 10:48 Uhr Antworten

❤️


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